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Zwölf Stunden Deutschland

Staunen über Eiswein, Kartoffelsuppe, Kippfenster, recyceltes Toilettenpapier und teure Plastiktüten: unterwegs mit japanischen Touristen

Von Corinne Schmid (für „Tagesspiegel“ )

Wer nur zehn Tage Urlaub hat im Jahr, wie Japans Bevölkerung, kann die Welt nur im Eiltempo besichtigen. Für Deutschland bleiben da nur ein bis zwei Tage: Heidelberg, Neuschwanstein und zurück. Eindrücke, die uns von den japanischen Touristen bleiben, sind Trauben von schwarz glänzenden Hinterköpfen, die sich um Sehenswertes scharen – und alles fotografieren. Dabei machen die weit Angereisten echte Entdeckungen: dass Deutschland Kippfenster hat etwa, und dass Stachelbeeren nicht giftig sind. Eine Innenansicht.

Masago Yoshida greift zum Bordmikrofon. „Deutschland hat 16 Länder. Wir sehen heute Hessen, Baden Württemberg und Bayern.“ Im Bus sitzen 17 zum Teil übermüdete Japaner. Einige sind heute früh aus Tokio eingeflogen. Andere sind schon ein paar Tage in Europa unterwegs. Der Bus ist Punkt acht in Frankfurt losgefahren. Denn die straffe Planung lässt keine Verspätung zu. Heidelberg, Rothenburg ob der Tauber und Dinkelsbühl an einem Tag, Endstation ist München. Wer noch kann, darf morgen die Neuschwanstein-Tour mitmachen.

Auf der A 5 nach Heidelberg erzählt Frau Yoshida in gleichmäßigem Tonfall Wissenswertes über Deutschland. „Es gibt 600 000 Straßen, 30 000 davon sind Autobahnen“, sagt sie. „Die Nazis haben sie zu Militärzwecken gebaut.“ Und: „Autos dürfen hier mehr als 100 Kilometer pro Stunde fahren.“ Der Bus leider nicht. Am Fenster ziehen graue Wolken vorüber. Die ersten Touristen nicken ein. „Es gibt keine freie Zeit in Heidelberg“, warnt Frau Yoshida. Dann verteilt sie Tipps: „Für den Fotoapparat sollten Sie einen Reservefilm mitnehmen, Regenschirme gibt es beim Busfahrer. Den Bus erkennen Sie an der bayerischen Flagge auf dem Armaturenbrett.“ Peter Filser parkt ihn neben acht andere Busse. Am liebsten fährt er japanische Touristen. „Sie sind pünktlich“, sagt er, „und sauber – abends muss ich den Bus nicht mal aufräumen.“

Es ist 9 Uhr 15. Vor dem Heidelberger Schloss treten sich japanische und amerikanische Heerscharen auf die Füße. Eine französische Reiseleiterin hebt die Hand und ruft schrill: „Le group numero un ici!“ Unsere Gruppe umzingelt einen Fußabdruck im Beton. „Den hat ein Ritter hinterlassen, als er aus dem Fenster einer Jungfrau sprang“, erklärt Frau Yoshida. Der zehnjährige Masato testet, ob sein Fuß hineinpasst. Die Gruppe kichert, besonders seine zwölfjährige Schwester Ayako. Denn die Legende besagt, dass wer denselben Fußabdruck hat ein Frauenheld ist.

Masatos Vater Toshio Kawasaki knipst die Szene. Mit seiner Frau und den beiden Kindern ist er heute mit dem Nachtzug aus Paris, der ersten Station seiner Europareise, gekommen. „Ich bin ein wenig enttäuscht von Deutschland“, sagt er. „Ich habe mir die Gegend ländlicher vorgestellt – mit grünen Hügeln und Kühen. Aber bis jetzt sieht es aus wie in Japan.“

Alle lichten die Schlossfront ab. Dann geht’s zum weltgrößten Weinfass, danach aufs Klo. Die Toilettenfrau lobt das disziplinierte Verhalten der Japaner. Es ist zwanzig nach zehn, Zeit für Heidelbergs Zentrum. Yoshiko Mori klatscht begeistert in die Hände. Sie ist entzückt vom Charme der pittoresken Fachwerkhäuser. „Deutsche erhalten das Alte. Das gefällt mir“, sagt sie. „Japaner bevorzugen stets das Modernste.“ Als sie und ihre Freundin Chieko Fujinami sich ins Marktplatz-Getümmel mischen wollen, ist die Zeit abgelaufen. Frau Mori kauft sich noch schnell eine Schale Erdbeeren. Den Stachelbeeren traut sie nicht über den Weg, obwohl der Verkäufer ihr eine schenkt.

Punkt acht Uhr fährt der Bus über die „Burgenstraße“ nach Rothenburg. Linker und rechter Hand rauschen zwölf sehenswerte Festungen an uns vorbei. Die Reiseleiterin erklärt indes den Sinn einer Stadtmauer. Dann geht es um Alltag: „Im Supermarkt müssen Deutsche für Plastiktüten extra bezahlen“, sagt sie. Frau Mori findet das gut. „Die Deutschen tun viel für die Umwelt. Auf der Toilette gab es recyceltes Klopapier. Das ist zwar rau, aber es ist ja nur ein Gebrauchsgegenstand. In Japan muss man sein eigenes mitbringen.“ Alle blicken in Richtung der Weinberge. Frau Yoshida erklärt alles über Weinanbaugebiete, Biersorten und Automarken. Herr Kawasaki aus Toyota City (kein Witz!) interessiert sich für die Autos. „Amerika, Japan und Deutschland verbindet vor allem eines – ihre wirtschaftliche Power.“

In Rothenburgs Altstadt bekommt er davon nicht viel mit. Doch die Bratwurst und das Weißbier schmecken ihm außerordentlich gut. Yoshiko Mori und ihre Freundin fallen hinter die Restgruppe zurück. Sie kaufen sich cremefarbene Seidentücher für zehn Euro das Stück. „Das ist billig“, sagt Frau Mori. Im Hotel-Restaurant Eisenhut, wo schon der japanische Kronprinz übernachtet hat, essen sie „Fränkische Kartoffelsuppe“. „Für den japanischen Gaumen ist das Essen hier zu salzig“, sagt Frau Mori und löffelt sie trotzdem aus. Japaner sind höflich.

Auf das Kopfsteinpflaster der Spitalgasse fallen erste Regentropfen. Chieko Fujinami schaut hoch – und wundert sich über ein gekipptes Fenster: „Ist es kaputt?“, fragt sie. Denn Japan kennt Schiebefenster. Dann sitzt den beiden schon wieder die Zeit im Nacken. Um 16 Uhr fährt der Bus ab. Um 16 Uhr 45 kommen sie an. In strömendem Regen laufen 17 beschirmte Japaner einmal hinein in Dinkelbühls historische Altstadt und zurück. Hidenori Mizoguchi, mit seiner Frau auf Hochzeitsreise, schafft es in der Zeit immerhin, acht Flaschen Eiswein zu kaufen und sie gleich an seine Firma in Nagoya zu schicken. Auf der „Romantischen Straße“ – japanisch übersetzt „Romanchikku Kaido“ – fahren wir bis Augsburg, dann auf der Autobahn A 96 nach München. Ankunft 20 Uhr.

Heute haben die Japaner vieles über deutsche Autobahnen, deutsche Burgen und deutsche Essgewohnheiten erfahren. Zwölf Stunden lang waren sie nonstop unterwegs, davon fast acht Stunden im Bus. Yoshiko Mori hat sich gegen „Neuschwanstein“ am nächsten Tag entschieden. Sie möchte lieber den Münchner Alltag erleben. Das ist ungewöhnlich, denn Japaner packen in ihren knapp bemessenen Urlaub möglichst viele „sehenswerte“ Orte.

Familie Kawasaki verzichtet nicht auf den Märchenschloss-Trip. Herr Kawasaki will schließlich noch die echt oberbayerische Landschaft sehen. Vor „Neuschwanstein“ schaukelt der Bus an saftigen Weiden mit braunscheckigen Kühen vorbei. Männer in Lederhosen stehen mit strammen Waden da – wie bestellt. Alle drücken auf den Auslöser oder halten ihre Digitalkamera aus dem Fenster. „So habe ich mir Deutschland vorgestellt“, sagt Herr Kawasaki zufrieden. Den Blick von der Marienbrücke auf das zauberhafte Schloss überschattet der ständige Blick auf die Uhr.

Vieles können die Kawasakis erst in Ruhe betrachten, wenn sie die Fotos vor sich haben – wenn sie sich dann noch erinnern was wann wo war.


Der Sound der Dinge

Wie findet man den angemessenen Klang für ein Raumschiff ? Soll es sonor surren oder lieber intergalaktisch rauschen? Und warum knallen Türen im Kino basslastiger als zu Hause? Die Sound-Designer Enrico Coromines und Rudi Mauser lassen Kinositze vibrieren und jagen Zuhörern kalte Schauer über die Rücken. Zuletzt haben sie sich sechs Wochen ins Tonstudio eingesperrt, um eine 60er-Jahre-Kultserie neu zu stimmen. Auf diese Weise wurde „Raumpatrouille Orion – Rücksturz ins Kino“ zum Klangerlebnis – und nicht zum Gehörsturz …

VON CORINNE SCHMID (für Frankfurter Rundschau)

Sie gaben der Orion ihr neues Geräusch. Denn der modulierte Klang einer Orgel war solange gut, solange das Raumschiff im Fernsehen den Radius eines Fünfmark-Stücks hatte. Heute haben Kino-Leinwände fast das Format eines Tennisplatzes. Und die Orion wirkt darauf groß wie ein Auto. Deshalb musste ein anderer Sound her.

„Den meisten, die „Raumpatrouille Orion“ diesen Sommer erstmals im Kino gesehen haben, ist die neue Tonspur vielleicht nicht mal aufgefallen“, meint Rudi Mauser. „Der Mensch hört eben schon bevor er sieht. Das Gehör nimmt er als selbstverständlich hin,“ pflichtet sein Kollege Enrico Coromines bei. Dabei haben Mauser und Coromines sich für den neuen Ton der „Raumpatrouille“ mehrere Dutzend Nächte um die Ohren geschlagen und sogar ein Bett ins Tonstudio gestellt. „Ausdauer ist gefragt bei unserer Arbeit“, sagt Enrico Coromines, „und Fantasie – sich etwas anzuschauen und zu fragen: Wie könnte es klingen?“ Bevor er sich Geräuschkulissen in Filmen gewidmet hat, war der gelernte Tontechniker Gitarrist in der Band von Thomas Gottschalks Late Night Show. So entstanden erste Kontakte für den Musiker und Produzenten. Für „Anatomie 2“ hat Coromines die Gitarren eingespielt, für „Orion“ als Relaunch-Kinoversion hat er jedem Lichtschalter seinen speziellen Sound verpasst. Für ihn und Teamkollege Rudi Mauser hörte sich das Projekt Orion spannend und vielversprechend an.

Doch leicht war es nicht, den Fernsehton der Sci-Fi-Serie von 1966 innerhalb von nur sechs Wochen in die Gegenwart heutiger Kinopräsentation zu beamen. „Wir haben selbst abgekapselt wie in einem Raumschiff gelebt,“ sagt Mauser. Die Kommandobrücke der Sound-Kapitäne war ein Mischpult aus Knöpfen und Hebeln im schalldichten Münchner Tonstudio. „In der Zeit gab es kein Privatleben, nur die Schaffung einer futuristischen Klang-Sphäre im isolierten Raum“, sagt Mauser. Zu essen gab es Pizza oder die Frauen der beiden brachten eine Mahlzeit ins abgedunkelte Studio.

„Wir hatten ein magnetisches Tonband aus den 60-Jahren mit nur einer Tonspur zur Verfügung – was schon für damalige Verhältnisse mau war“, sagt Coromines. Die Produktionsfirma Bavaria hatte das Material ausgemistet, da vor 20 Jahren noch kein Mensch mit dem Revival-Wahn von heute gerechnet hat.  Die antiquierte 35-Millimeter-Schwarz-Weiß-Ästhetik im Bild sollte auch fürs Kino bleiben. „Allein mit dem Ton sollten wir eine Brücke ins Jetzt schlagen“, sagt Rudi Mauser, Bassist , Komponist und Sound-Designer. Denn den Original-Mono-Sound verzerrt auf Kinolautstärke zu ertragen, wäre wohl über die akustische Schmerzgrenze, selbst hartnäckiger Nostalgiker, gegangen.

Die Dialoge der Crew haben die beiden Wort für Wort aus der Mono-Version isoliert und per Computer entzerrt. Die Musik von Peter Thomas hat Mauser anhand von Archivbändern aus dem Besitz des Komponisten in Stereo neu angelegt: Takt für Takt. Das dritte Element, die „Atmo“, auch „Surrounding“ genannt, ist das Spezialgebiet von Enrico Coromines. Er hat den bösen Inhumaniden in „Orion“ einen Ton gegeben: Sobald die Frogs (Abk. für: feindliche Raumschiffe ohne galaktische Serien-Nummer) in den unendlichen Weiten des Kinos auftauchen, ist ein fieses hohes Kratzgeräusch zu hören. Es läuft einem eiskalt den Rücken runter, als ob jemand mit der Kreide auf der Tafel ausrutscht. „Den Frog-Sound haben wir mit Tools auf dem Computer hergestellt. Wir haben das Original-Geräusch von damals aufgepeppt und von Mono in Dolby Digital verwandelt.“ Dafür haben die beiden einen elektronischen Malkasten, bei dem die Klangfarben des Rauschens etwa, von „rosa“ bis „weiß“ reichen. „Man kann damit einen Wirbelsturm erzeugen“, sagt Coromines. „Früher haben Tontechniker einfach verschieden langsame bis schnelle Sinuswellen übereinander gelegt.“

In den Sechzigern jedoch hatte Ton in Fernseh-Filmen noch keinen sehr hohen Stellenwert. „Auf Soundeffekte wurde so gut wie ganz verzichtet. Alles was man an Geräuschen hört ist neu“, so Coromines. Dank seiner Arbeit hat das Schweigen der Dinge ein Ende. Die Lichtschalter der Orion machen ein kurzes „düdldüpp“, der Radarschirm pulsiert nicht nur optisch sondern auch lautmalerisch. Und der Türschacht des Raumschiffes macht ein gedehntes „pffffft“, wenn er sich öffnet. Dazu hat Coromines das pneumatische Geräusch einer Maschine verwendet. „In einer Szene steckt jemand etwas Essbares in einen alten Brotkasten, nimmt es kurz später wieder heraus und zack – es ist warm.“ Hier war es nicht schwer, den passenden Ton zu finden. Coromines nahm den Sound einer Mikrowelle und das helle „bing“, wenn ein Gericht fertig ist, auf.

Im Kino bestimmt der Sound-Designer wie die Welt zu klingen hat. Türknallen etwa, hört sich völlig anders an als in der Realität. Doch der Kinobesucher erwartet inzwischen schon dieses satte, mit Tiefen angereicherten ‚Womm‘. „Eine Basswelle breitet sich kugelförmig aus“, erklärt Coromines das Phänomen. „So kann der Kinobesucher das Geräusch, das kreisförmig aus vier Boxen kommt nicht orten.“ Akustisch betrachtet sitzt der Kinobesucher somit  mitten im Geschehen. Noch stärker ist das Gefühl des realen Erlebens bei basslastigen Explosionen. Zum Beispiel wenn die Raumfähre Orion einen Meteoriten zerstört: „Ein Submover hinter der Leinwand bringt die Tiefen auf 20 Hertz runter. Da spürt man die Erschütterung, als ob die Kinosessel beben“, sagt Coromines. „Dabei verpufft Lärm eigentlich im All: kein Knallen, kein Wummern – absolut lautlos.“ In Filmen hingegen ist auch das nur ein Stilmittel: „Ein Satellit fliegt in einer Szene schwerelos durchs All. Er ist kaputt – also kein Geräusch“, interpretiert Coromines die selbst geschaffene Stille.

Unterbrochen wird diese Ruhe durch ein galaktisches Surren – das Herannahen der Orion. In Wirklichkeit ist es das stark gefilterte Geräusch eines vorbeidüsenden Flugzeugs. „Für das Innengeräusch der Orion haben wir einen Jet ganz tief gestimmt“, erklärt der Bassist Mauser, als ob es sich dabei um ein Instrument handelt. „Im Original war es eher ein Zirpen. Wir haben ein Grummeln daraus gemacht – eines bei dem man den Maschinenraum spürt“, erklärt er stolz. Die Sound-Designer hatten den Ehrgeiz, den Originalsound so oft wie möglich zu verwenden, um den Kult-Charakter zu wahren: „Doch mit diesem dünnen Orgel-Geräusch konnte die Orion unmöglich vom Fernseh-Universum in die Galaxie der Leinwand gelangen“, rechtfertigt Mauser den Aufwand.

Das Bett im Tonstudio der beiden steht noch immer. Denn die Sound-Designer  sitzen wieder an ihrer Kommandobrücke – dieses Mal um Stereomixe für DVD-Versionen zu basteln. Sie bringen sich an die Grenze physischer Belastbarkeit … und dringen dabei in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gehört hat.


Der Imperator schlägt wieder zu

REPORTAGE VON CORINNE SCHMID (Hörzu)

Die Dreharbeiten einer der teuersten Fernsehproduktion Europas „Napoleon“ erinnerten an die echten Feldzüge des Imperators. Corinne Schmid war dabei, als  das Filmteam um Regisseur Yves Simeneau in Ungarn drehte. Um Schlachten in der Größe von „Waterloo“ und das wogende Vor und Zurück der Heere nachzustellen, waren rund 14 440 Komparsen nötig.

Über Ungarn strahlt die Sonne heute besonders hell. Die kleine, altmodische Dorfkirche abseits vom Plattensee ist umgeben von antik anmutenden Gräbern. Ein ruhiger Ort fernab vom lärmigen Massentourismus. Ein Kanonenschlag knallt die Idylle entzwei, wirbelt klumpige Erdbrocken durch die Luft und ein Grabstein kippt um. Ein Reiter in französischer Uniform prescht über die Friedhofsmauer hinter der sich russische Soldaten verschanzt haben. Der Kavallerist wird angeschossen, stürzt vom Pferd, bleibt aber am Steigbügel hängen und wird über die Gräber geschleift. Als der Pulverdampf ausdünnt, liegen ein paar Dutzend Tote auf dem Boden. Doch keine Panik: alles nur gespielt. Was sich so wild anhört sind „nur“ die Dreharbeiten zur  Mammut-Produktion „Napoleon“, die ab Montag im ZDF (20.15 Uhr) vom sicheren Fernsehsessel aus zu beobachten sind.

Was in Ungarn nachgestellt wurde, war Napoleons Schlacht um Preußisch Eylau.  Der ganze Aufwand wurde betrieben, um das mit rund 40 Millionen Budget teuerste Fernsehspiel Europas zu machen. Kirchmedia kooperierte mit Frankreich, Italien, Ungarn und Kanada, um ein derartiges Spektakel auf die Bildschirme zu bannen. Auch das Angebot an internationalen Schauspielern ist kaum zu überbieten: Christian Clavier spielt Napoleon, Gérard Depardieu den Fouché John Malkowich tritt als Talleyrand auf, Isabella Rosselini als Joséphine. Heino Ferch, der jüngst als aufmüpfiger Gallier in „Julius Cäsar“ (ARD) aufgetreten ist, spielt mit, Marvie Hörbiger, Marie Bäumer und Sebastian Koch. Über ein Jahr wurden die Schlachten von Waterloo und Austerlitz neu ausgefochten, die Feldzüge nach Russland und in die Pyrenäen an 120 Drehorten weltweit inszeniert.

Jetzt aber ist dringend Verbandszeug erforderlich. Eine der Leichen, ein Stuntman hat sich leicht am Kopf verletzt, als sein Kollege am Steigbügel über ihn hinweg geschleift wurde. „So etwas kommt vor“, sagt Sinko Akos, seit 25 Jahren auf Pferde-Stunts spezialisiert. „Man muss hart trainieren, um ein Pferd in so einer Situation zu kontrollieren.“  Ein Ordner bittet die Komparsen, nächstes Mal ein bisschen weiter von der harten Kampfzone entfernt tot umzufallen.

Für die 1200 Männer, die als französisches Bataillon fungieren, besteht hingegen wenig Gefahr. Nur wenige Meter von der Eylau-Szene entfernt, stellen sie die Schlacht von Austerlitz nach. Ein historisches Ereignis am anderen – Film machts möglich. Doch die Befehle von Regisseur Yves Simeneau hätten dem echten Napoleon wohl nur ein abfälliges Lächeln entlockt: „Marschieren auf der Stelle!“ Und das den ganzen Nachmittag. „Wir filmen erst das ganze Heer, dann machen wir eine Nahaufnahme von 50 Soldaten“, erklärt Produktionsleiter Marc Vadé das absurde Gebaren erwachsener Männer. „Um den Kern des Geschehens zu filmen brauchen wir dann nur noch wenige, besser vorbereitete Statisten.“

Sary Andras (26) ist eher weniger vorbereitet. Er ist sonst bei der „echten“ ungarischen Armee, doch das hier bringt mehr Spaß: „Es ist spannender, einen Soldaten von damals zu spielen, als heute einer zu sein.“ Viel springt dabei allerdings nicht für ihn heraus. Für eine warme Mahlzeit und 16 Euro am Tag (!) tut er, was er sich als Soldat verkneifen muss. „Bei der Schlacht von Waterloo durften wir richtig aufeinander losgehen“, sagt er, „mit Gummi-Bajonetten.“ Das genügt ihm als Entschädigung für einen Tag auf der Stelle trampeln. Dass die Herrschaft Napoleons 1815 mit der Niederlage bei Waterloo endete, verdirbt dem Komparsen die Freude am Krieg spielen nicht.

Per Computer wurden die Kampfszenen hinterher so bearbeitet, dass aus 3000 Soldaten 300 000 und aus 100 Pferden 1000 werden. Dennoch: „Um einer Szene Tiefe zu geben, musste ein und derselbe Ausschnitt aus den unterschiedlichsten Winkeln aufgenommen werden“, erklärt der Regisseur.  Zu diesem Zweck steht ein leuchtend blauer Kran in der Wiese, der die Kamera bis in vier Meter Höhe hievt. Von dort oben ist das gesamte Heer zu überblicken, vorneweg ein verblüffend überzeugender Napoleon.

Christian Clavier scheint sich in seiner Rolle wohl zu fühlen. „Der Mann hat die Welt verändert!“ schwärmt der Franzose über Napoleon. „Ohne ihn gäbe es kein Deutschland und auch keine Schweiz.“ Nichtsdestotrotz hätte der Imperator, der sich 1804 selbst zum Kaiser Frankreichs krönte, der Menschheit eine Menge erspart, wenn er Europa und 1812 auch noch Moskau von seinen Feldzügen verschont hätte. Und nun kehrt der Eroberer zurück – nur auf dem Bildschirm zum Glück. Wenn Christian Clavier allerdings in Schnallenschuhen und Redingdote, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, den Blick streng geradeaus richtet und schmale Lippen macht, nimmt man ihm den korsischen Imperator sofort ab.

Kameraschwenk zum Friedhof von Preußisch Eylau: Bevor sich der leicht verletzte Tote wieder an seinen Platz legt, müssen die Grabsteine aus Styropor wieder aufgerichtet werden. Ein Mitarbeiter läuft mit zwei kunstvoll verstümmelten Beinen und einer abgerissenen Hand aus Gummi übers Bild. Am Rand des Geschehens sitzt Agnes Varga auf einem echten Stein, um den Soldaten Kunstblut und Ruß ins Gesicht zu schmieren. „Seit sechs Uhr früh sitze ich hier“, klagt die Maskenbildnerin. „Über 600 Männern habe ich schon Wunden und Dreck angeschminkt.“

Was soll da erst der Regisseur Yves Simeneau sagen, der schon an die zehn Monate mit den Dreharbeiten beschäftigt ist? „Alles halb so wild“, findet der Kanadier. „Wir kämpfen noch nicht mal ein Jahr. Napoleon hat es 14 Jahre lang durchgehalten.“ Zäh ist er aber auch, der Regisseur: Nach diesem anstrengenden Tag hat er noch immer nicht genug. Er nutzt  das „diffuse  Abendlicht“, um das napoleonische Heer über weit entfernte Hügel aus dem Sonnenuntergang reiten zu lassen. „Klappe, die nächste“, ruft er, als die Reiter nicht gleichmäßig verteilt hinter dem Hügel auftauchen – und „Ruhe, bitte!“ Dann klappt es doch noch. Gedämpftes Pferdetrappeln ist zu hören und sonst nichts. Die gefiederten Helme der Reiter sind zuerst zu sehen vor dem ockerfarbenen Himmel. Bleibt mit Spannung zu erwarten, an welcher Stelle im Film der Regisseur diese beeindruckende Szene eingebaut hat.